Positive Impact

28/11/2023

Gewinn mit Sinn

„Purpose“ – also der Sinn und Zweck eines Unternehmens – ist viel mehr als ein neues Modewort der Industrie. Nadia Terfous, Geschäftsführerin von „Economics of Mutuality Solutions“ erklärt, wie sich durch sinnstiftendes Unternehmertum ein gemeinsamer Mehrwert für alle Interessengruppen erreichen lässt

Die Definition von unternehmerischem Erfolg ist dabei, sich grundlegend zu verändern. Die rein gewinnorientierte Ausrichtung von Unternehmen wird zunehmend in Frage gestellt, während sich immer mehr wirtschaftliche Akteure Gedanken darüber machen, wie sie ihrer gesellschaftlich-ökologischer Verantwortung gerecht werden können. Allmählich gewinnen wertebasierte Strategien an Bedeutung, obwohl ein sinnorientiertes Unternehmertum allgemeinhin immer noch mit Gewinneinbußen assoziiert wird. Nadia Terfous, Geschäftsführerin der in Genf basierten Organisation „Economics of Mutuality Solutions“ und Keynote-Speakerin bei Quadpacks jüngster Jahreshauptversammlung erklärt, wie sich Gewinn- und Sinnorientierung vereinbaren lassen.

„Purpose“ oder Sinnstiftung ist in aller Munde. Was steckt dahinter?

Der „Purpose“ ist der Daseinszweck eines Unternehmens und besteht in der Entwicklung wirtschaftlicher, skalierbarer und nachhaltiger Lösungen für Gesellschaft und Umwelt. Es geht darum, sich gegenseitig dabei zu helfen, aktuelle Herausforderungen zu meistern. Davon zu differenzieren ist die Mission, die sich damit befasst, wie unternehmerische Ziele im Tagesgeschäft umgesetzt werden. Diese langfristigen Ziele sind in der Vision festgelegt, die einen wünschenswerten Zustand in – sagen wir – 10 Jahren beschreibt. Die Werte hingegen bilden den moralischen Kompass für das Handeln der Organisation. Mission, Vision und Werte sollten allesamt dazu beitragen, den vom sinnorientierten Unternehmen angestrebten gesellschaftlichen und ökologischen Nutzen zu erbringen.

Inwiefern hängt Sinnorientierung mit unternehmerischem Erfolg zusammen?

Bei der Sinnorientierung geht es um einen neuen Erfolgsbegriff. Dieser wird nicht mehr ausschließlich am finanziellen Kapital und dem Mehrwert für Aktionäre gemessen, sondern orientiert sich auch am Nutzen anderer Stakeholder: Mitarbeiter, Kunden, Verbraucher, Lieferanten, Gesellschaft und Umwelt. An die Stelle von Gewinnmaximierung rückt die gleichzeitige Mehrung von humanem, sozialem und natürlichem Kapital. Obwohl ein Unternehmen als Teil seiner sozialen Verantwortung ein Mindestmaß an Nutzen für all seine Stakeholder erbringen sollte, kann es sich bewusst auf spezifische Bereiche mit besonders starken Einflussmöglichkeiten auf Gesellschaft und Umwelt konzentrieren. Sinnorientiertes Handeln bezieht sich nicht zwangsweise auf die Kernaktivität des Unternehmens, sondern auf den Beitrag, den es für ausgewählte Stakeholder durch die Befriedigung ihrer unerfüllten oder neu aufkommenden Bedürfnisse leisten kann.

Ist der Wandel zum Stakeholder-Kapitalismus vollzogen?

Wir bewegen uns allmählich vom Shareholder- zum Stakeholder-Kapitalismus, aber wir sind noch nicht dort angekommen. Die zunehmende Bedeutung von Umweltschutz, sozialen Belangen und Führungskultur (ESG) sind ein Nebenprodukt dieses Wandels.  Zur Beurteilung der Leistungen und Risiken eines Unternehmens berücksichtigen Investoren neben herkömmlichen finanziellen Indikatoren verschiedene ESG-Kriterien, da sich letztere signifikant auf seinen langfristigen Wert und seine Reputation auswirken können. Unternehmen mit starker ESG-Performance werden oft als nachhaltiger und verantwortungsbewusster angesehen. Jedoch haben ESG-Metriken ihre Grenzen. Da einheitliche Standards zur Messung von nichtfinanziellen Indikatoren fehlen, können die Bewertungen zwischen unterschiedlichen Rating-Agenturen sehr variieren. Zudem sind die Ratings typischerweise stärker auf Werterhaltung als auf Wertsteigerung ausgerichtet. Sinnorientierte Unternehmen müssen Metriken entwickeln, mit denen sich ihre eigenen gesellschaftlichen und ökologischen Ziele und die zu deren Umsetzung erforderlichen Maßnahmen am effektivsten bewerten lassen.

Sind Sinn- und Gewinnorientierung miteinander vereinbar?

Ja, Sinnstiftung kann sich rechnen. Unter sonst gleichen Bedingungen ist die Wahrscheinlichkeit einer starken Performance für Unternehmen mit einem sinnorientierten Geschäftsmodell höher. Auf makroökonomischer Ebene haben Studien gezeigt, dass wirklich sinnorientierte Organisationen mit einem Multi-Stakeholder-Ansatz profitabler arbeiten als ihre Wettbewerber. Auf mikroökonomischer Ebene wurde nachgewiesen, dass durch das Bestreben, offene oder aufkommende Bedürfnisse zu erfüllen, Engagement und Innovationsfreude steigen. Dadurch wird die Entwicklung neuartiger und wirtschaftlich tragbarer Geschäftsmodelle begünstigt, die Mensch und Umwelt zugutekommen. Selbstverständlich bleibt ein profitables Wirtschaften nach wie vor Voraussetzung für die Geschäftserhaltung und -ausweitung, doch gelten Gewinne nicht mehr als Selbstzweck, sondern vielmehr als Mittel zum Zweck. Auf diese Weise profitiert jeder, und genau das ist mit gemeinsamer Wertschöpfung gemeint.

Wie also lassen sich sinnstiftende Prinzipien in der Praxis umsetzen – und zwar gewinnbringend?

Zunächst muss der „Purpose“, der als Leitprinzip für strategische Entscheidungen dienen soll, klar formuliert werden. Anschließend werden die wichtigsten Stakeholder bestimmt, für die diese Prinzipien relevant sind, sowie deren Bedürfnisse, Beziehungen, Wünsche und Ziele. Dabei sollten auch das eigene Unternehmen sowie atypische Anspruchsgruppen wie zum Beispiel NGOs berücksichtigt werden.

Im nächsten Schritt – der innovativen Phase – werden Lösungen für die definierten Bedürfnisse erarbeitet. Es macht Sinn, andere Stakeholder mit ins Boot zu holen, um mit vereinten Kräften an Lösungen zu feilen, die zunächst wahrscheinlich verschiedene Tests durchlaufen müssen, bis sie schließlich umsetzbar sind. Hier sollte in kleinem Maßstab begonnen und allmählich erweitert werden, was viel Flexibilität erfordert.

Schon in der Anfangsphase der Implementierung müssen die Auswirkungen der Lösungen gemessen werden. Erfüllen diese die Bedürfnisse der Stakeholder tatsächlich und tragen sie dazu bei, die angestrebten sinnstiftenden Ziele zu erreichen? Wird dabei auch Mehrwert für das eigene Unternehmen geschaffen?  Nachdem bestätigt worden ist, dass die Lösungen der gemeinsamen Wertschöpfung dienen, können sie auf breiterer Ebene umgesetzt werden.

Sehen Sie eine Wende hin zu sinnorientiertem Unternehmertum?

Regierungen, Investoren, Wirtschaft und Verbraucher haben bereits einige Anstrengungen unternommen, um Stakeholder-Interessen stärker zu berücksichtigen. Von den 250 größten Unternehmen der Welt berichten 96 % in irgendeiner Form über Nachhaltigkeit, doch haben sich Denk- und Vorgehensweisen noch nicht grundlegend verändert. Zwar steht der Klimawandel deutlich im Fokus, doch ist die angepriesene Nachhaltigkeit nicht immer ehrlich, denn Greenwashing ist leider weit verbreitet. Außerdem werden viele andere Themen, wie etwa soziale Komponenten in der Berichterstattung stark vernachlässigt. Hier ist ein besseres Verständnis der Voraussetzungen für die Entwicklung innovativer Geschäftsmodelle nötig, von denen alle Stakeholder profitieren.

Um gesellschaftliche Herausforderungen zu bewältigen, muss dieser Paradigmenwechsel beschleunigt und auf größerer Ebene vollzogen werden. Ich bin optimistisch, doch darf keine Zeit mehr verloren werden. Ansonsten wird es äußerst schwierig oder gar unmöglich, diese drängenden Probleme in den Griff zu bekommen.

Über Economics of Mutuality

„Economics of Mutuality“ ist ein Geschäftsmodell, das Unternehmen eine Reihe von Instrumenten bereitstellt, um einen langfristigen gemeinschaftlichen Mehrwert für alle Stakeholder zu schaffen. Die Organisation baut auf einem langjährigen Forschungsprogramm unter der Leitung von Mars, Inc. und der Saïd Business School der Universität Oxford auf, das auf dem Prinzip der gemeinsamen Wertschöpfung basiert. Mittlerweile operiert die Organisation unabhängig von Mars auf globaler Ebene durch ihre Stiftung, die „Economics of Mutuality Foundation“ und ihr separates Beratungsunternehmen „Economics of Mutuality Solutions“.

Type image Type video Logo linkedin Logo instagram Go to